Aufklärungslehrgänge in Institutionen

Aufklärung mit neuen Schwerpunkten

Wie kann eine Gruppe von etwa 70 Jungen – 13jährig - sexuelle Aufklärung in einer Turnhalle bekommen, ohne etwas sagen zu müssen. Sie sollen ihrem Körper nahekommen, ohne ihn aktuell anzufassen. Nichts soll ihnen peinlich sein vor ihren Mitschülern. Statistisch gesehen mag mehr als die Hälfte ihren Körper nicht. Niemals würden sie wirklich wichtige Fragen offen stellen vor ihren Mitschülern. Statistisch gesehen erleben in Ihrer Familien zwei von ihnen aktuell Übergriffe. Einer davon hat sich heute schon im Vorfeld krankgemeldet, vermute ich, aber einer ist hier.

Ich sitze in der Mitte der Halle, mein Assistent sitzt am Rand. Er hat die Aufgabe, auf offensichtliche Überforderungen zu achten und, falls nötig, Hilfe anzubieten. In der Halle liegen kreuz und quer Matten bereit. Jetzt geht die Tür auf und die ersten stürmen in die Halle. Einige schnappen sich die Matten und verziehen sich in eine Ecke, sieben etwa. Sie legen sich unter die Matten, als seien das Bettdecken. Sie sind laut.

Andere bewegen sich als Clique auf Matten zu und bleiben dicht zusammen. Wagenburgen. Neugierig beäugen sie mich. Andere suchen sich eine Matte und halten Abstand zueinander. Eine soziale Installation ist entstanden, die mir vieles sagt. Ich erkläre, dass jeder auch den Raum verlassen kann ohne Ärger erwarten zu müssen, aber ruhig müssten sie sein. Es wird leiser aber nicht ruhig. Na klar. Auf die Lautesten bewege ich mich zu und biete ihnen persönlich noch einmal an, den Raum verlassen zu können. Keiner geht. Alles ist so ungewohnt. Leise wird es, als ich zu sprechen beginnen. Was soll das alles?

Ihrem Körper sollen sie begegnen, während ich sie mit meiner Sprache mitnehme auf eine Traumreise in den Körper eines Jungen – 13-jährig. Ich möchte Freundschaft erreichen zwischen ihrer Aufmerksamkeit und ihrem Körper, besonders Aufmerksamkeit mit den Körperteilen, die wichtig sind für Sexualität und für ihre Identität als Mann oder was auch immer. Sprechend und wie nebenbei bewege ich mich auf die zu, die die Situation nicht aushalten können und meinen, Witze machen zu müssen. Sie werden ruhig. Sie wollen nicht, dass ich wiederkomme.

Ein großer Teil scheint die Reise mitmachen zu können. Viele hören mir zu, aber sie beobachten mich doch. Die Traumreise geht zu Ende. Dann stellen ein paar von ihnen Fragen zu der Reise. Warum habe ich Ihnen empfohlen, ihr Schamhaar regelmäßig zu schneiden. Ich antworte, wie wichtig ich es finde, dass sie ihren Körper regelmäßig ansehen, ihn gestalten und überlegen, wie er sie am besten ausdrückt. Sie sollen ja freundlich sein zu ihm.  Alle Fragen sind allgemein gehalten, es sind Fragen zu meiner Traumreise, nicht zu ihnen. Da geht das Reden leichter.

In einer zweiten Gesprächsrunde nutze ich – sowas hat sich schon überall durchgesetzt im Aufklärungsunterricht – die aufgemalten Körperumrisse. Die Schüler sollen jetzt die Experten sein und über Körper allgemein reden, was sie schon so alles wissen. Viele bringen Inhalte, die ihren Pornokonsum durchscheinen lassen. Ob es gut ist, sich Pornos anzusehen. Wenn man weiß, antworte ich, dass man dort nicht die Realität zu sehen bekommt, sondern platte animalische Grundreize für Männer. Das ist lustvoll und soll es auch sein. Aber über Frauen und Männer und über Beziehungen und Rollen sagen Pornos nichts aus. Viele scheinen das schon mal gedacht zu haben. Mutiger werden sie, als die ersten zu Frauen fragen und andere einsteigen. Warum bemalen sich Frauen ihre Nägel. Das ist schon sehr alt, sage ich,  kommt aus der Zeit als Frauen noch ihre Fruchtbarkeit symbolisieren wollten. Deutlich machen wollten, dass sie schon ihre Tage haben. Später seien andere Farben aus modischen Gründen dazu gekommen. Und die Lippen, wird gefragt, und so geht das weiter.

Zwischendurch sehe ich aus den Augenwinkeln, dass mein Assistent mit drei Jungen rausgeht. Ob sie die Gelegenheit haben werden, ihre Motivation an anderer Stelle zu erfassen?

Meine Mitarbeiterin hat in der gleichen Zeit mit Mädchen gearbeitet. Sie hatte nicht so ideale Bedingungen. Ihr Raum war zu klein. So große Gruppen sind aber auch wirklich nicht hilfreich. Zumeist arbeiten wir mit kleineren Gruppen, jeder Auftraggebende kann ja seine oder ihre Bedingungen und Wünsche nennen. Immer aber bleibt unser Ziel, die Ratsuchenden mit ihrem Körper in Freundschaft zu bringen, denn nur wenn sie ihn schätzen, werden sie ihn auch schützen.

Nach der Veranstaltung kommen zwei Mädchen zu uns und fragen, wo sie eine solche Beratung lernen können und wir erklären ihnen das. Die Frage freut uns sehr: Sarah Lena Wabbel und mich, Lothar Sandfort. 
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